Leistung… Selbstoptimierung

03 Mai 2018

Markus Thiele

Leistung… Selbstoptimierung

„Stressfrei durch den Berufsalltag“, „Entspann Dich! – Selbstoptimierung durch Gelassenheit“ oder auch „Effizienz und Ausgeglichenheit – wie Sie den Leistungsansprüchen genügen können“ – so oder ähnlich könnten Buchtitel lauten, die ein gutes Lebensgefühl versprechen. Gesetzt den Fall, man folgt den enthaltenen Tipps und Ratschlägen. Häufig jedoch sind Ratgeber dieser Art nicht nur Hilfestellung, sondern vermitteln zugleich, dass etwas wohl nicht so optimal läuft, wie es laufen könnte.

Im Speziellen soll es bei den erwähnten Titeln um einen positiven Umgang mit Leistungsanforderungen gehen. Um sich nicht im Ratgeberdschungel zu verlieren, sollte zwischen zwei Begriffen deutlich unterschieden werden: Dem des Leistungsgefüges und dem des Leistungsgefühls. Das Leistungsgefüge ist gesellschaftlich gesetzt; das Leistungsgefühl umfasst dahingegen das individuelle Empfinden. Es ist daher sinnvoll, das wohl jedem bekannte Gefühl, den Leistungsansprüchen nicht zu genügen, einmal näher zu betrachten.

Denn weder ein erfolgreicher Leistungssportler noch eine erfolgreiche Managerin sind für ihre Erfolge allein verantwortlich. Nur werden die Leistungen der Trainerinnen und der verantwortlichen Mitarbeiter ausgeblendet.

Hierbei lohnt es sich, ein Blick in das neue Buch von Nina Verheyen zu werfen. In „Die Erfindung der Leistung“ nimmt sie eine kritische Haltung zum Begriff Leistung ein und rät trotzdem dazu, den Leistungsbegriff nicht gänzlich aus dem Vokabular zu streichen. Vielmehr geht es ihr darum, die vorherrschende Idee von individueller Leistung durch ein soziales Leistungsverständnis zu ersetzen. Das, was vermeintlich als individuelle Leistung anerkannt und dementsprechend ent- und belohnt wird, ist für sie eine „Erfindung des Alltags“:
Denn weder ein erfolgreicher Leistungssportler noch eine erfolgreiche Managerin sind für ihre Erfolge allein verantwortlich. Nur werden die Leistungen der Trainerinnen und der verantwortlichen Mitarbeiter ausgeblendet. Verheyen meint auch: „Der Stress, den viele empfinden (…), ist im engeren Sinne nicht Ausdruck von Leistungsdruck. Eher stehen dahinter das Streben nach Profiten, der Zwang zur Vernetzung sowie zur Selbstoptimierung.“

Unter „Selbstoptimierung“ versteht man im Allgemeinen, sich selbst zu perfektionieren. Der Kulturkritiker Byung-Chul Han ersetzt den Begriff durch den der „Selbstausbeutung“. Problematisch sei, dass in unserer Leistungsgesellschaft der Mensch zum Unternehmer seiner selbst wird. Indem er sich nicht fragt, woher der Leistungsanspruch resp. der Über-Ich-Druck eigentlich herrührt, sondern ausschließlich versucht, den Ansprüchen zu genügen, kann es zu Burnout-Symptomen und Erschöpfungsdepressionen kommen.
Byung-Chul Han spricht von einer gesellschaftlichen Misere, in der der Mensch völlig auf sich selbst gestellt unter dem „ständig können müssen“ leidet. Deutlich wird das Prinzip der Selbstausbeutung in Hegels bekanntem Prinzip der Herrschaft und Knechtschaft: Der Knecht hat jedoch in diesem Fall keine Möglichkeit mehr, gegen den Herrscher zu rebellieren, sondern erschöpft sich in einem Kampf gegen sich selbst.

Auch der Philosoph Günther Anders sah schon im letzten Jahrhundert ein Problem in der Definition des Leistungsbegriffs angesichts fortschreitender Technologien: Der Mensch begreift sich als unzulänglich vor dem Hintergrund einer Entfremdung, die sich im Gefälle seiner erbrachten Leistung und dem erzeugten Produkt spiegelt, das mehr und mehr als Ergebnis maschineller Arbeit auftritt. Er beschreibt das daraus entstehende Gefühl als prometheische Scham: „Sich schämen bedeutet also: nichts dagegen tun können, dass man nichts dafür kann.“

Bei auftretenden Stresssymptomen als Reaktion auf Leistungsanforderungen lohnt es sich also nicht immer, den Umgang mit den Anforderungen zu optimieren. Falsche Scham ist nämlich ebenso fehl am Platze, wie sich selbst auszubeuten, wenn es sich im Zweifel doch bloß um eine „Erfindung des Alltags“ handelt.