Im ZEIT MAGAZIN Nr. 36/2016 vom 8. September 2016 findet sich ein im wahrsten Sinne des Wortes zeitgemäßer Artikel von Jürgen von Rutenberg über Männer & Psychotherapie mit dem Titel: „Männer, lasst Euch helfen!“
Hier im Folgenden daraus die Essentials des Autors:
Männer haben keine Depressionen, sie bringen sich höchstens um, so Gottfried Huemer, Bildungshaus Villa Rosental, Laakirchen, Oberösterreich. Dabei zeigt der Männergesundheitsbericht 2013, dass Männer genauso häufig wie Frauen an psychischen Störungen erkranken. Zwischen 2009 und 2014 nahm die Zahl der Frauen, die Psychotherapie in Anspruch nahmen um 12 Prozent zu, bei Männern lag die Zuwachsrate bei 20 Prozent, so die Statistik der kassenärztlichen Bundesvereinigung. Der Männeranteil an den Patienten der Psychotherapeuten beschränkt sich derzeit auf rund ein Drittel.
Björn Süfke, Psychologe von der Bielefelder Männerberatungsstelle man-o-mann gibt Folgendes zu bedenken: „Das Stichwort Depression zum Beispiel sei männlichkeitstechnisch schwierig, für manche Männer klinge das nach Versager.“ Im Burn-out hingegen schwinge mit: „Du hast gebrannt, dann ein bisschen zu sehr gebrannt, du bist ein bisschen zu sehr ein richtiger Mann, jetzt brauchst du mal eine Pause.“ Das käme irgendwie besser an. Männerkrisen können in Katastrophen führen. Fast 10000 Suizide werden jährlich in Deutschland registriert, dreiviertel davon begehen Männer. Männerkrisen hat es immer gegeben, neu sei der Konflikt zwischen Beruf und Vaterschaft. „Die traditionelle Männlichkeit gibt es noch, aber sie bröckelt“, so Süfke. Der Schriftsteller Michael Kumpfmüller ist der Auffassung: „Dieser Mann könne und wolle die Gleichberechtigung nicht zurückdrehen, er könne aber auch niemals all die miteinander kollidierenden Erwartungen erfüllen, die auf ihn einprasseln. Das ist vielleicht die alltäglichste unter den aktuellen Männerkrisen.“
Man stelle sich vor, man müsste so sein Brot kaufen: Bekannte fragen, herumhören, dann, nach langer Wartezeit, zum vereinbarten Zeitpunkt irgendein fremdes Treppenhaus hochlaufen, ohne zu wissen, was einen hinter der Tür erwartet.
„Die Psychotherapie hat ein Imageproblem“, sagt hingegen der Buchautor Alain de Botton. „In den Medien ist sie sehr präsent, aber der Schritt, tatsächlich zu einem Therapeuten zu gehen, ist viel zu schwierig, gerade für Männer. Man stelle sich vor, man müsste so sein Brot kaufen: Bekannte fragen, herumhören, dann, nach langer Wartezeit, zum vereinbarten Zeitpunkt irgendein fremdes Treppenhaus hochlaufen, ohne zu wissen, was einen hinter der Tür erwartet. Psychotherapie muss sichtbarer werden, zugänglicher, attraktiver, besonders für Schüchterne.“ Sie müsse als begehrenswertes Produkt inszeniert werden.
„Männer und Psychotherapeuten – wer meidet wen?“ Unter dieser Überschrift argumentierte Johannes Vennen, der als Therapeut und Coach in Kiel und Rendsburg arbeitet, warum manche Therapeuten ihre Termine lieber an Frauen vergeben, wenn sie die Wahl haben: „Männer formulieren direkter, und sie sind skeptischer. Wenn ich als Therapeut kritisiert werde, dann von Männern. Das ist nicht ganz so behaglich wie bei den Frauen.“ Er sehe die Kritik aber als etwas Positives: „Ich bedanke mich bei jedem Mann, der mich kritisiert. Denn er bringt mich dazu, mein Vorgehen genauer zu begründen.“ Huemer kann viele Geschichten von Männern aus seiner Gegend erzählen, die sich hartnäckig jeder Behandlung entzogen haben und tragisch endeten, in Krankheit, Sucht und Unfalltod. „Weil es so mühsam ist, diesen Weg der Selbstbestimmung zu gehen, geben viele wieder auf“, sagt Huemer, „sie fallen zurück in alte Muster, in ihre Süchte, und sie sterben halt früher.“
Als globales Ziel der Therapie von Männern nennt Johannes Vennen: „Dass sie flexibler werden in ihren Reaktionen. Dass sie sich besser kennenlernen.“ Dabei könne ein Mann erkennen: „An welchen Stellen reagiere ich klassisch männlich – und wo finde ich das vielleicht sogar ganz gut?“ Es sei jedenfalls ein fundamentales Missverständnis, dass es in der Psychotherapie darum gehe, Männer weniger männlich zu machen. „Ich habe nichts gegen männliche Statusbedürfnisse“, sagt Vennen. Das Streben nach Status, das zeigten auch seine Fragebögen, sei bei Männern stärker ausgeprägt als bei Frauen. „Statusmotiv“, sagt er, „das heißt ja übersetzt, ich hab Bock, andere zu beeindrucken und ein Stück weit überlegen zu sein.“ Man müsse bloß begreifen, dass man dadurch kein besserer Mensch werde: „Denn ein Mann, der seine Gefühle kennt, ist im täglichen Miteinander nicht mehr hilflos, ohnmächtig.“
Das entscheidende Fazit aus unserer Sicht lautet also: Es gibt im therapeutischen Prozess für den modernen Mann scheinbar nicht viel mehr zu gewinnen, als die Einsicht, nicht immer nur tough und busy sein zu müssen. Jedoch liegt sein größter Gewinn darin, sich wieder mehr und intensiver anderen Menschen zuwenden zu können.