In Goethes Trauerspiel „Die natürliche Tochter“ (1801-1803) heißt es: „Das Wort verwundet leichter als es heilt.“ Bezieht man diesen Ausspruch auf die Situation, in der Arzt und Patient in den Dialog über Gesundheitszustände treten, dann bekommt das Wort als Wucht der Verwundung und Mittel des Heils einen allzu wörtlichen Sinn zugeordnet.
Man denke allein an die Situation, als Kind vor einer Impfung zu stehen und der Arzt sagt: „Das wird gleich (kurz) wehtun.“ „Kurz” – in Klammern – denn genau dieser Einschub wird überhört. Der Stich tut weh, bevor die Spritze auf ihre Funktionsfähigkeit getestet werden konnte.
Im Kontext eines Gesprächs über den Therapieverlauf einer schwerwiegenden Krankheit potenziert sich die Wirkmacht des Wortes und die Verantwortung des Arztes dieses, bedacht zu wählen. Es ist dazu von großer Bedeutung, den Patienten in seiner Ausnahmesituation als Menschen wahrzunehmen, an dessen Genesungsprozess er auf der Ebene des Wortes wesentlich teil hat. Dabei führt dieser rund 20.000 Gespräche im Verlauf seines Berufslebens und tendiert dazu, sein Gegenüber nach 15 Sekunden zu unterbrechen, weil das System nicht darauf ausgerichtet ist, Patient und Arzt gemeinsame Zeit einzurichten, um dies zu berücksichtigen. Warum ist es trotzdem so wichtig, die sprechende Medizin im Sinne einer Kommunikation zwischen Arzt und Patient als Wirkfaktor zu integrieren?
Bereits vor 50 Jahren wies der britische Arzt und Psychotherapeut Michael Balint der sprechenden Medizin ein Drittel des gesamten Behandlungsrepertoires zu – der „Arzt als Arznei“. Auch in der Antike findet sich Ähnliches: Sokrates sagt im platonischen Dialog „Charmides“, dass ein bestimmtes Heilkraut nur dann wirke, wenn es mit den richtigen Worten verabreicht würde.
Alles, was wir im Gespräch, auch im therapeutischen Gespräch, aufnehmen und bewusst oder unbewusst im Gedächtnis speichern, verändert unsere neuronalen Netzwerke und seine synaptischen Verknüpfungen.
Der Anschein könnte entstehen, es handle sich um mittelalterliche Zauberei, anstatt um die auf neuere Forschung basierende Erkenntnis, dass die neuronale Netzwerk-Plastizität des Gehirns die menschliche Psyche bis ins hohe Alter flexibel, sprich veränderbar bleiben lässt. „Alles, was wir im Gespräch, auch im therapeutischen Gespräch, aufnehmen und bewusst oder unbewusst im Gedächtnis speichern, verändert unsere neuronalen Netzwerke und seine synaptischen Verknüpfungen“ sagt der Nobelpreisträger Eric Kandel.
„Eine Psychotherapie wirkt auch auf biologische Weise und zwar im Prinzip fast genauso wie antidepressive Medikamente, nämlich durch eine nachhaltige Veränderung des Gehirns“ heißt es weiter im Buch „Mind & Body: „Wie Gehirn und Psyche die Gesundheit beeinflussen“ von Johann Casper von Rüegg.
Allerdings muss nicht die Naturwissenschaft herangezogen werden, um das therapeutische Gespräch nicht nur zu etablieren, sondern es viel mehr in den Fokus zu rücken. Das gesprochene Wort, das in der Psychotherapie den Verlauf einer Erkrankung nachweislich beeinflusst, kann und muss auch aus ethischer Perspektive betrachtet werden.
Die Maximen moderner Medizin sind mit der Idee einer gemeinsamen, gewissermaßen demokratischen Entscheidungsfindung längst auf dem Weg, den sogenannten „Halbgott in Weiß“ seines Status zu entheben.
Aus medizin-ethischer Perspektive sollte die gemeinsame Entscheidung auf drei Säulen beruhen:
– der Diagnose des Arztes
– dem Willen und den Werten des Erkrankten, denen man nur im gemeinsamen
Gespräch, das auf offenen Fragestellungen basiert, erkunden kann
– der vorhandenen Möglichkeiten der Behandlung
Bevor der Patient aus ungenügendem Vertrauen seinem behandelnden Arzt gegenüber den „Netdoktor” befragt, sollte ein auf diesen Säulen basierender Dialog zwischen dem Arzt bzw. Psychotherapeuten und dem Patienten etabliert werden, der den naturwissenschaftlich-medizinischen und ethisch-psychotherapeutischen Diskurs umfasst. Es geht also nicht mehr in erster Linie um die Einigung auf ein Medikament, sondern vielmehr um eine gemeinsame sprachliche Matrix, die das Wort des Patienten sowie das des Arztes in die gemeinsame Waagschale legt.