Work-Life-Balance

05 Juni 2018

Markus Thiele

Work-Life-Balance

In einem Interview auf meedia.de wird der Autor und Philosoph Alain de Botton gefragt, ob ihn sein Beruf glücklich mache. Er antwortet: „Ja, leider schon.“ Daraufhin wird er gefragt: „Warum leider?”
de Botton: „Wir sind die erste Gesellschaft, die Arbeit nicht nur als Strafe empfindet, sondern als Quelle des Glücks. Das ist einerseits eine Errungenschaft, andererseits wird unsere Identität erheblich von der Wahl unserer Beschäftigung bestimmt …“MEEDIA: „… deswegen fragen wir Fremde meist zuerst, was sie beruflich machen.“ de Botton: „Und je nachdem, wie man diese Frage beantwortet, sind Menschen entweder unglaublich froh, einen zu sehen, oder sie schauen auf ihre Uhr und entschuldigen sich.“

Arbeit war allerdings nicht immer entweder „Quelle des Glücks“ oder der Grund dafür, sein Glück in anderen Gesprächsrunden zu versuchen. Denn der Begriff Arbeit befindet sich in einem definitorischen Wandel. Aus diesem resultiert, dass er nicht bloß ein Tätig-Sein bezeichnet, sondern auch ein Sein. Ob man derzeit einer Arbeit nachgeht oder nicht, sagt deshalb nicht bloß etwas über den Kontostand, sondern auch über das Gefühl „Wer-zu-Sein“ aus. Arbeit ist identifikationsstiftend. Deshalb ist die Begriffsbeziehung WORK und LIFE die modern modifizierte Hamlet-Frage und ebenso bedeutsam, wie die Beziehung vom SEIN zum NICHT-SEIN.

Unter dem Begriff Work-Life-Balance (im amerikanischen Raum auch als Work-Family-Balance oder als Border-Theorie bezeichnet) versteht man in erster Linie die Trennung von Beruf und Privatleben. Die dem Homo Laborans zur Verfügung stehenden Zeit- und Kräfteressourcen gilt es dabei auf beide Bereiche ausgeglichen zu verteilen. Einerseits werden die Bereiche also deutlich voneinander unterschieden, andererseits sollen diese aber auch im jeweils anderen Bereich aufs beste integriert sein.

Aber ist es überhaupt konkret möglich, innerhalb eines Lebens, das sich in unserer Wahrnehmung mal als Einheit, mal als Patchwork-Konstrukt zeigt, die Bereiche Leben und Arbeit auszubalancieren?

In der Psychologie ist von zwei Konsequenzen die Rede, die eine unausgeglichene Work-Life-Balance zur Folge haben kann: Zum einen der sogenannte Spillover-Effekt. Hiervon spricht man, wenn Belastungen im Privatleben auf die Ausübung des Berufes Auswirkungen haben. Ein zweiter Bereich, der die Auswirkungen dieser Dysbalance aufzeigt, umfasst die Beobachtung, dass Zufriedenheit nur auf Umwegen (Kompensation) versucht wird herzustellen, indem man durch einen gelungenen WORK-Flow versucht einen positiven Effekt auf den LIFE-Status zu erzielen.

Aber ist es überhaupt konkret möglich, innerhalb eines Lebens, das sich in unserer Wahrnehmung mal als Einheit, mal als Patchwork-Konstrukt zeigt, die Bereiche Leben und Arbeit auszubalancieren?

Im Grunde geht es um den Glauben daran, Balance wäre glücksbringend. Jedoch kann jemand, der viel mehr arbeitet als dabei auf seine Balance zu achten, ebenso glücklich und zufrieden sein. Daran wird auch deutlich, dass die Trennbarkeit beider Bereiche häufig eine Illusion ist und Privatperson und berufliche Rolle ein Spiel auf der gleichen Bühne sind, gerade dann, wenn der Beruf gar keine Gegenüberstellung mehr mit dem Leben erlaubt, sondern als dieses wahrgenommen wird.

Der Wunsch nach Balance setzt voraus, beide Bereiche objektivierbar zu machen und in die Waagschalen zu legen, um diese dann mit ein wenig mehr Engagement hier und ein bisschen mehr Entspannung dort gleichgewichtig zu machen.

Anstelle des Versuchs, eine Balance zwischen WORK und LIFE zu erreichen, könnte ein emphatischer Begriff von Flexibilität gesetzt werden. Dann würde die Fata Morgana der Work-Life-Balance, sprich penibel die Gewichte auf den Waagschalen regulieren zu können, dadurch ersetzt, indem man sich biegsam wie ein Baum im Wind der Witterung anpasst und bei einsetzender Stille seinen ursprünglichen Zustand wieder erreicht – das scheint jedoch wesentlich vom Phantasma des Gleichgewichts abzuweichen.