Die Farbe der Liebe ist rot. Die Farbe der Hoffnung ist grün. Die Farbe der Depression ist demnach schwarz? Die metaphorische Konnotation von komplexen Phänomenen mit eindeutigen Farben kann auch zum Einstieg in das Thema „weiße Depression“ hilfreich, jedoch gleichsam missverständlich sein.
„Schwarz, wie in der schweren Depression, weiß wie in den Zuständen der Leere.“ (Andreé Green)
Die weiße Depression bezeichnet nicht die lichte Seite der dunklen Verstimmung, sondern das Entstehen psychischer Löcher durch den sogenannten Tod der Mutter. Es handelt sich bei der Symptomatik nicht um eine Reaktion auf den realen Tod der Mutter, sondern um die Erfahrung des Kindes mit einer depressiven, dadurch emotional abwesenden Mutter konfrontiert zu sein.
„Als Kind möchte man die eigenen Mutter eher nicht in sich gekehrt sehen, sondern einem zugewandt“, steht auch bei Saša Stanišic in seinem Roman „Herkunft“. Sowohl der reale als auch der psychische Tod der Mutter impliziert Trauer. Resultierend daraus auch zu analysierende Trauerprozesse – jedoch ist die innerlich abwesende Mutter weder eindeutig zu betrauern, noch kann sie begraben und somit nicht betrauert werden.
Vielmehr entstehen Kompensationsstrategien, die sich dem Füllen der sich ständig wiederholt erlebbaren Leere widmen. Insbesondere haben diese schwerwiegende Auswirkungen auf das Liebes-, aber auch das Berufsleben und zeigen sich häufig in narzisstischen Persönlichkeitsstrukturen.
Ziel, das Objekt, das man nicht mehr haben kann, weiterhin zu besitzen, indem man nicht wie es ist, sondern zu ihm selbst wird. (A. Green)
Die anwesende Leere der Mutter lässt den Fokus des Kindes auf das Fehlende, das Negative richten, auf den Objektverlust. Dies wiederum kann zwei Reaktionen zu Folge haben, die sich beide unter dem Begriff „Besetzungsabzug“ (Abwehrmechanismus, „psychischer Mord, ohne Hass“ (A. Green)) fassen lassen: Zum einen der Besetzungsabzug vom mütterlichen Objekt: Das psychische Töten der bereits psychisch toten Mutter, ohne dabei in klassischen Hassphantasien versinken zu können, weil das Objekt nicht mehr als Projektion zur Verfügung steht. Vergleichbar mit einem Kampf gegen den mehrköpfigen Janus.
Die andere Weise des Besetzungsabzugs ist hingegen eine primäre Identifikation mit dem Objekt mit dem „Ziel, das Objekt, das man nicht mehr haben kann, weiterhin zu besitzen, indem man nicht wie es ist, sondern zu ihm selbst wird.“ (A. Green)
Es treten aber auch Versuche auf, den Verlust der Mutter umzukehren, indem man ihre Vitalität zu erwecken sucht, zum anderen aber auch das Ich am Leben zu erhalten, indem der Begriff der Autonomie als Selbsterfahrung neu konnotiert wird: Die positive Erfahrung der Einsamkeit unter dem Einfluss des Fluchs der abhanden gekommenen Mutter.
Deutlich wird das Phänomen der weißen Depression im analytischen Prozess im Vorgang der Übertragung. Hierbei spricht A. Green auch von einer Übertragungsdepression: „…ein Ausdruck, den ich für diese Gelegenheit erfinde, um ihn der Übertragungsneurose gegenüberzustellen“. Diese ist die Wiederholung einer infantilen Depression, die dadurch gekennzeichnet ist, dass Trauer über einen Verlust ausgedrückt wird trotz Anwesenheit des Objekts.
Der dadurch entstandene Verlust der Liebe, die die Mutter nicht (mehr) geben kann, ist der eigentliche Anlass, seine innere Struktur entlang dieser existentiellen Lücke zu organisieren. Nicht nur der Verlust der Liebe, sondern auch der Verlust des Sinns sind dann tragischerweise die prägenden Leere- und Lebenserfahrungen.