„Die Kränkung ist etwas, das die Realität mir antut“, sagt der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer. Kränkungen sind nicht bloß Phänomen und Problem zwischenmenschlicher Beziehung, sondern zugleich eines der größten Risiken, auf dessen Basis sich Beziehungen in ihrem Potential erst entfalten. Denn mit zunehmender Nähe steigt die Gefahr, kränkbar zu sein.
Kränkungen treffen unverhofft, werden angetan, hinterlassen Spuren in der Realität und sind Spielball der Phantasie. Kränkungen sind nicht selten Folge eines harten Aufpralls auf die Realität, die man, um genau diese nicht erfahren zu müssen, verdrängt hat.
Ein klassisches Beispiel ist die offenbarte Affäre im monogamen Beziehungssystem. Die Kränkung ist nicht erst in der Offenbarung vorhanden. Kränkung geschieht meist schon im veränderten Verhalten des Anderen und wird dann benennbar, wenn das Vertrauen gebrochen ist.
Als Kränkung bezeichnet man eine Mischung aus unterschiedlichen Gefühlen. In der Kränkung enthalten sind meist Angst, Schmerz und Scham. Bereits als Kind ist man unvermeidbar Kränkungen ausgesetzt. Denn sie sind immer auch ein Erleben davon, dass ein Bedürfnis nicht erfüllt wird. Am Beispiel eines Kindes, das die Eltern nicht gehen lassen will, obwohl es von einer anderen Person verantwortungsvoll betreut wird, zeigt sich, dass Kränkung Beziehungen zwar trennen, aber auch stärken kann: Kommen die Eltern wohlbehalten zurück, hat diese Situation das Potential, das Vertrauen zu stärken und so Ängste des Kindes zu überwinden.
Kränkung wird häufig als Verletzung des Selbst interpretiert. Als verletzter Stolz oder Ehre. Leicht zu kränkende Personen werden als eitel empfunden. Die Erfahrung, dass das narzisstische Ich nicht immer gespiegelt wird, kann jedoch in der Reflexion darüber einen positiv stärkenden Effekt zwischen Verletzendem und Gekränktem haben.
Denn Kränkung ist nicht, was der andere einem antut, sondern wie man damit umgeht und die Weise, wie die Handlung des Anderen mit vorhandenen Erfahrungen resoniert.
Kränkung ist eine Reaktion auf Empfindsamkeit beziehungsweise Verletzbarkeit. Resilienz, also Widerstandskraft, mit der man schwierige Lebenssituationen meistert, heißt auch, dass das Selbstwertgefühl gestärkt wird. Resilienten Personen bleibt Kränkung nicht erspart, dennoch ist der Verlauf der Verarbeitung eine andere.
Kränkung ist meist nicht nur aktuell, sondern ist Gradmesser bereits vorhandener Kränkungen, die unverarbeitet blieben. Kränkung aktualisiert in diesem Sinne bereits vergangene kränkende Erfahrungen.
Gekränkt ist man immer allein, jedoch kommt keine Kränkung allein. Denn Kränkung ist nicht, was der andere einem antut, sondern wie man damit umgeht und die Weise, wie die Handlung des Anderen mit vorhandenen Erfahrungen resoniert. Der Verletzende kann im Verlauf der Aufarbeitung zwar Wesentliches über den Gekränkten und die Beziehung zueinander verstehen, die Kränkung kommunizieren und sie so im besten Fall sogar überwinden, kann nur der Gekränkte selbst. Die Kränkung zu kommunizieren ist jedoch nicht trivial, da dabei versucht wird, dem anderen seinen ganz individuellen Schmerz mitzuteilen.
Unter der primären Größenphantasie versteht man, dass das narzisstische Ideal davon ausgeht, allem gewachsen zu sein. Doch ohne Kränkung geht es eben nicht. Der Umgang mit der Kränkung selbst kann erst dazu führen, der Realität gewachsen zu sein. Hierbei spricht man auch technisch von einer Kränkungsverarbeitungskompetenz, die sich in der therapeutischen Beziehung entwickeln lässt.
Sich wiederholende Kränkung kann ein stabiles Selbst schwächen. Jedoch sollte immer im Blick behalten werden, dass sie gerade in ihrer Wucht auch über Ängste und tieferliegende Schmerzen erzählt, die im therapeutischen Prozess bearbeitet werden können.