Mid-Career-Crisis – Karrierekater mit 40

26 April 2020

Markus Thiele

Mid-Career-Crisis – Karrierekater mit 40

Eudaimonia beschreibt das höchste zu erreichende Gut. Das Endziel des Menschen, meint Aristoteles, sei die gelungene Lebensführung. Auch wenn phasenweise der Eindruck entsteht, die Verführungen des Lebens hinderten einen an der gelungenen Lebensführung, dann meist, weil sich der Eindruck verbreitet, einen einzigen Weg nehmen zu müssen, um die erwünschten Erfolge zu erzielen. Verführungen scheinen bei dieser Idee eher als lästige Verschwendungen von Zeit und Ressourcen.

Identität, die Sicherung finanziellen Wohlstands, Selbst-Entwicklung und -Erfüllung oder Sinn des Ganzen: Auch wenn sich die Funktion des Berufs gewandelt hat und dieser schwerer abzugrenzen von anderen Lebensbereichen sein mag – wie es der Künstler wohl seit jeher nicht anders kannte – was noch nicht hinterhergekommen ist, sind die Definitionen eines erfolgreichen Lebens und die Überprüfung der Frage: Ist dieses erfolgreiche auch ein gelungenes Leben?

Was genau kann hinter der Unzufriedenheit stecken, die sich einstellt, wenn mit Mitte 40 die Euphorie über die nächste Dienstreise nach New York der Anstrengung der zu erwartenden langen Reise weicht? Was, wenn die Wünsche von damals alle gelebt werden?

Der Hamburger Autor, Psychologe und Coach Tom Diesbrock spricht von einer Mid-Career-Crisis. Dieses Phänomen, das wie andere Krisen in Anbetracht der auf Funktionalität ausgerichteten Gesellschaft oftmals als Tabu für Gespräche unter Kollegen gälte, könne auch als Zielerreichungs-Depression übersetzt werden, die mit Mitte 40 einsetzen würde.

Unter den Erwartungen zurückzubleiben, könne ebenso zu Enttäuschung führen wie das zielgerechte erfüllen dieser. Nur das Übertreten der Erwartungen schütte das gewünschte Endorphin aus.

Ein empfundenes Unglück am Arbeitsplatz, Neid auf neue Mitarbeiter, ständiger Zweifel am Lebenszustand und vor allem die Frage: „Soll das jetzt für immer so weitergehen?” sind Anzeichen dafür, dass sich eine Mid-Career-Crisis trotz oder eben wegen eines erfolgreichen Status einstellt. Es ist die Phase, in der umgestellt werden müsse von der Motivation, etwas erreichen zu wollen, hin zu der Entmystifizierung der ursprünglichen Wünsche. Eine Zeit, in der bilanziert werden sollte, was die Umsetzung von phantastischen Vorstellungen an realen Fakten geschaffen hat. Eine Depression, die aus Erfüllung resultierte, sei ebenso ernst zu nehmen, wie eine, die auf Mangel basierte.

Die Psychologin Kerstin Till beschreibt den Verlauf in drei Phasen: „Die erste ist die Kindheit und Jugend, das Reinkommen ins Leben. Die zweite ist die Familienplanung und Familienphase. Wenn das alles überstanden ist, kommt eine Phase des Sich-Neuorientierens.“

Nicht selten ergriffen Menschen in dieser Phase die Chance, sich beruflich noch einmal komplett zu verändern. Sie gingen erneut an die Universität, holten ihr Abitur nach oder würden eine Lehre beginnen. Eine andere Strategie könne aber auch sein, die Krise durch Veränderung seiner Haltung zu überwinden.

Der Coach Daniel Holzinger beschreibt dies anhand von Erwartungen: Unter den Erwartungen zurückzubleiben, könne ebenso zu Enttäuschung führen wie das zielgerechte erfüllen dieser. Nur das Übertreten der Erwartungen schütte das gewünschte Endorphin aus. Der Wunsch die öffentliche Karriere wieder einmal mehr an das eigene Karriereziel anzugleichen, habe meist nicht die Möglichkeit, darüber hinaus in die sich daraus ergebende Realität zu blicken. Das nennt man auch Kognitive Dissonanz: ein unangenehmer Gefühlszustand, der sich daraus ergibt, dass das erwartete Gefühl keinen Abgleich im realen Erleben findet.

Zielerreichung muss nicht ausschließlich als Glücks- oder Heilsversprechen vorgestellt werden. Vielmehr kann sie auch in einer Depotenzierung der Ansprüche gedacht werden und als Versuch die Zufriedenheit im jeweiligen Zustand herzustellen.