Im Rahmen eines Experiments sollte ein Teil einer Gruppe eingeladener Theologiestudenten einen Vortrag über Berufsaussichten, ein anderer Teil einen Vortrag über die biblische Parabel vom barmherzigen Samariter vorbereiten. Anschließend wurden sie zum Vortrag in ein anderes Gebäude geschickt. Dabei wurde ein Drittel der Teilnehmer aufgefordert, sich zügig in das Vortrags-Gebäude zu begeben, einem weiteren Drittel wurde vermittelt, dass sie bereits zu spät dran seien und Eile geboten sei und dem letzten Drittel wurde mitgeteilt, dass sie sich etwas Zeit nehmen könnten. Der Weg führte sie an einem zusammengekrümmt liegenden Mann vorbei, der stöhnte und hustete.
63 Prozent der Teilnehmer, die viel Zeit hatten, boten dem Mann ihre Unterstützung an, 45 Prozent waren es noch bei der Gruppe, die sich zügig auf den Weg machen sollte und lediglich 10 Prozent der Studenten, die vermeintlich zu spät dran waren, halfen dem Mann. Damit zeigte das Experiment, wie neben dem Gruppendruck vor allem auch der Zeitdruck das moralische Empfinden beeinflusst und wie unbedeutend die Vortragsthematik war.
Nach fast 20 Jahren Verhaltensforschung und nach unzähligen Versuchen am Max-Planck-Institut in Leipzig zieht Michael Tomasello ein eindeutiges Resümee. „Wir Menschen sind von Natur aus gut. Wir sind ultrakooperative, moralische Primaten.“
Bislang waren Entwicklungspsychologen der Auffassung, dass moralisches Verhalten immer auf Nachdenk- und Abwägungsprozessen basiere. Doch die Kinder reagierten intuitiv. Offensichtlich haben Menschen einen angeborenen moralischen Kern.
1-2-jährige Kleinkinder wurden mit Videos konfrontiert, in denen eine Zeichentrickfigur einer anderen half, einen Berg zu erklimmen. Alternativ dazu gab es Szenen, in denen Figuren gewalttätig wurden. Parallel dazu wurden bei den noch sehr jungen Zuschauern die Hirnaktivitäten gemessen. Das Ergebnis zeigte, dass bereits Kinder in diesem Alter klar zwischen gut und böse unterscheiden können und nicht lange darüber nachdenken müssen.
Bislang waren Entwicklungspsychologen der Auffassung, dass moralisches Verhalten immer auf Nachdenk- und Abwägungsprozessen basiere. Doch die Kinder reagierten intuitiv. Offensichtlich haben Menschen einen angeborenen moralischen Kern.
Die Entwicklungspsychologin Melanie Killen von der Universität Maryland hat tausende Kinder untersucht, interviewt und ihnen beim Spielen zugeschaut. Ihrer Einschätzung nach sei das Reifen eines moralischen Empfindens dabei vorrangig von der Erziehung der Eltern abhängig. Seien diese warmherzig und würden mehr erklären anstatt zu bestrafen, entwickle sich bei den Heranwachsenden ein Gespür für soziales Verhalten. Dagegen täten sich Kinder, die keine feste Beziehung zu ihren Eltern aufbauen konnten, später häufig schwer, sich sozial zu integrieren.
Zudem spielt neuesten Erkenntnissen zufolge Intelligenz kaum eine Rolle, um sich moralisch verhalten zu können. Kognitive Fähigkeiten sind zwar notwendig, diese seien aber zumeist ab dem 6. Lebensjahr hinreichend entwickelt.
Moral, so Killen, entwickelt sich ein Leben lang. Die Voraussetzung dafür ist, dass Menschen und die Gruppen, in denen sie sich organisieren, nicht durch sichtbare oder unsichtbare Mauern getrennt sind, dass sie sich begegnen und Verständnis für einander entwickeln können.