Psychotherapie oder das Streben nach Glück

26 April 2023

Markus Thiele

Psychotherapie oder das Streben nach Glück

„Meine Reise begann auf einem Boot. Ich verbrachte ein Jahr in einem Flüchtlingslager und bin irgendwie auf Hollywoods größter Bühne gelandet. Sie sagen, dass Geschichten wie diese nur in den Filmen passieren. Ich kann nicht fassen, dass mir das passiert ist. Das ist der amerikanische Traum.“

Bei den diesjährigen Academy Awards hat der Gewinner des Oscars für den besten Nebendarsteller Ke Huy Quan sicherlich eine der bewegendsten Dankesreden gehalten – wohl vor allem deshalb, weil er mit seiner unwahrscheinlichen Reise von einem Flüchtlingslager auf den roten Teppich der prestigeträchtigsten Filmveranstaltung Amerikas ein Paradebeispiel des American Dream darstellt.

Das Faszinosum des amerikanischen Traums und der Grund, warum dieses nicht an Glanz verliert, speist sich aus der Annahme, dass jede und jeder es schaffen kann. Damit ist nicht ausschließlich wirtschaftlicher Wohlstand gemeint. „Es“ beschreibt die Möglichkeit, durch menschliche Willenskraft von der gesellschaftlichen Armutsgrenze bis an die Spitze gelangen zu können: eine Trophäe in den geschundenen Händen eines Tellerwäschers.

Gabriele Muccino hat mit „Das Streben nach Glück“ (2006) eine auf wahren Ereignissen beruhende Geschichte mit Will Smith in der Hauptrolle verfilmt, die den Tellerwäscher- Mythos aufgreift.

Smith spielt darin Chris Gardner, einen Vertreter, der Anfang der 80er Jahre mit seiner Frau und seinem Sohn in San Francisco lebt und den Unterhalt davon bestreitet, Knochendichte-Messgeräte zu verkaufen. Ständig ist er in verschiedenen Szenen dabei zu sehen, wie er mit einem dieser koffergroßen Geräte durch die Stadt rennt, gehetzt davon, im Überlebensversuch keine Chance auf den Aufstieg zu verpassen. Gardner bekommt eine dieser Chancen im Gewand eines Praktikums bei einer Investmentbank – unbezahlt aber mit der Option auf eine Festanstellung. Dafür muss er gut genug sein. Dafür muss er dieser eine unter Tausenden sein.

Seine Frau trennt sich unterdessen von ihm, weil sich für sie bessere berufliche Chancen in New York ergeben. Die partnerschaftliche Dynamik ist eine permanente Bestätigung des sozial schwachen Status. Man kann dabei zusehen, wie Armut und die daraus resultierenden Abhängigkeiten die Beziehung sukzessive zerstören. Das Kind bleibt auf Gardners Wunsch hin bei ihm, hatte er doch nie einen Vater und will im Leben seines Sohnes deshalb möglichst präsent sein. Seine Frau lässt somit den Ballast, der immer wieder in denselben Kreislauf aus Streit und Belastung führt, hinter sich – zu dem Preis, ihre Familie zurückzulassen.

Der Höhepunkt der Abwärtsspirale ist erreicht, als Gardner dann auch noch Steuerschulden bezahlen muss und zahlungsunfähig wird. Er und sein Sohn landen buchstäblich auf der Straße. „Die Idee von einem Recht auf Glück erklärt vieles in den USA – die grenzenlose Gier ebenso wie den Erfindergeist, den Wagemut und die überwältigende Großherzigkeit. (…) Das Recht auf Streben nach Glück impliziert, dass es auch ein Recht gibt, unglücklich zu sein“, schreibt Nikolaus Piper in der SZ.

Lass dir von niemandem je einreden, dass du was nicht kannst. Wenn du einen Traum hast, musst du ihn beschützen. Wenn andere was nicht können, reden sie dir ein, dass du es auch nicht kannst. Wenn du was willst, mach es. Basta!

Das Recht auf Glück beinhaltet zudem den Zustand, zu Unrecht unglücklich zu sein. Die Gefahr des Narrativs, alles sei machbar, liegt nicht im Recht auf das Streben nach Glück, sondern darin, dass die realen Bedingungen von Unglück die Machbarkeit einschränken. Bevor die Kehrseite der Medaille betrachtet wird, sollte geklärt werden, worin die Korrelation aus Glück und Recht begründet liegt.

Das Dispositiv des Tellerwäschers, der zum Millionär wird, ist auch deshalb als amerikanischer Traum bekannt, weil es die Declaration of Independence ist, in der steht, dass alle Menschen gleich geschaffen seien und unveräußerliche Rechte hätten, wie das Recht auf Leben, das Recht auf Freiheit und das Recht, nach Glück zu streben.

Die Geschichte von Gardner ist auch die Geschichte seines Sohnes, die eines noch heranwachsenden Träumenden – zum Tellerwäscher geboren, aber mit dem Recht ausgestattet, nach Gutem zu streben: „Lass dir von niemandem je einreden, dass du was nicht kannst. Wenn du einen Traum hast, musst du ihn beschützen. Wenn andere was nicht können, reden sie dir ein, dass du es auch nicht kannst. Wenn du was willst, mach es. Basta!“, erklärt Smith seinem Sohn in einer Schlüsselszene auf dem Basketballplatz, nachdem dieser soeben einen Wurf versemmelt hat.

Smith spielt einen Vater, wie man ihn sich für ein gelungenes Vater-Sohn-Verhältnis wünscht: Zwar ist er selbst geschwächt, ausgebrannt und verzweifelt, im Verhältnis zu seinem Sohn tritt er jedoch bestärkend und reflektiert auf. Gardners Alltag ist das Schicksal des Kindes. Lebt der Vater auf der Straße und das Kind beim Vater, bleibt die negative Erfahrung nicht aus. Trotz dieser Erfahrung einen emanzipatorischen Kompass für das Kind zu entwickeln, ist im Entwicklungsprozess des Kindes eine damit korrespondierende Erfahrung, die resilienzstärkend wirkt.

Der Deutschlandfunk nennt die Überzeugung, aus einem starken Willen heraus alles Wünschenswerte schaffen zu können, den „nordamerikanischen Lieblingsmythos“, den „Mythos des Selfmademans, der es bekanntlich selbst noch als Tellerwäscher zum Millionär bringen kann, sofern er nur fest genug an sich selbst glaubt.“

Der Glaube an sich selbst wird in der Psychologie mit Selbstwirksamkeit übersetzt und gilt als eines der wichtigsten Ziele des psychotherapeutischen Prozesses. Selbstwirksamkeit ist ein Konglomerat aus verschiedenen guten Überzeugungen. Insbesondere Kinder hängen von den Sätzen ihrer Eltern sowie ihres sozialen und familiären Umfelds ab. Sie sind dabei wie eine Übersetzungsmaschine von artikulierten Sätzen und deren Wirksamkeit.

Der Mythos des Aufstiegs aus eigener Kraft ist also auch immer eine Geschichte der eigenen Kindheit, in der die Selbstüberzeugung von der Überzeugungsübertragung des Umfelds gespeist wird. 

“Das Streben nach Glück” erzählt daher nicht allein vom Streben nach Glück im ökonomischen Erfolgssinne, sondern auch vom Anspruch eines Kindes auf den Erhalt seiner Lebendigkeit und den damit einhergehenden Spielräumen.