Wunsch, Illusion & Depression

26 Mai 2023

Markus Thiele

Wunsch, Illusion & Depression

Wünsche können uns dazu motivieren, unser Leben zu verbessern und uns in eine neue Richtung zu bewegen. Doch es gibt eine feine Grenze zwischen einem realistischen Wunsch und einer Illusion, die nur in unserer Phantasie existiert. Oftmals sind Illusionen verführerisch und geben uns ein falsches Versprechen von Glück und Zufriedenheit, das wir nicht erreichen können. Diese Illusionen können uns in eine Abwärtsspirale führen, die unsere Sicht auf die Realität verzerrt und uns in eine Depression führen kann.

Wenn wir jedoch unsere Wünsche verfolgen, können wir unser Leben tatsächlich verbessern und Wünsche erfüllen. Erfüllte Wünsche können uns dabei helfen, Enttäuschungen zu überwinden und uns ein Gefühl von Genugtung und Zufriedenheit geben. Wenn wir unsere Wünsche erfüllen, können wir auch unser Selbstvertrauen und unsere Motivation stärken, um uns neuen Herausforderungen zu stellen und unser Leben weiter zu verbessern.

Um voranzukommen müssen wir allerdings unsere Illusionen aufgeben. In „Die Zukunft einer Illusion“ schreibt Freud: „Für die Illusion bleibt charakteristisch die Ableitung aus menschlichen Wünschen, sie nähert sich in dieser Hinsicht der psychiatrischen Wahnidee…“ und verzichtet somit auf ihre „Beglaubigung“ anhand einer Faktizität. Wenn wir in unseren Illusionen verharren, bewegen wir uns also nahe am klinisch identifizierbaren Wahn, können uns nicht weiterentwickeln und bleiben in einem Zustand der Stagnation. Das Verharren in Illusionen kann uns in einen endlosen Kreislauf der Enttäuschung führen, da wir immer wieder auf die gleiche Täuschung hereinfallen und uns enttäuscht fühlen.

Der Mensch ist ein Wesen, das in der Lage ist, seinen gegenwärtigen Zustand zu verbessern. Wünsche sind dabei ein wichtiger Treiber für Veränderungen und Antrieb für persönliche Weiterentwicklung.

Aus psychoanalytischer Sicht, insbesondere nach Freud und Lacan, kann das Verhältnis von Illusion zur Depression auf einer tieferen Ebene der Psyche und der menschlichen Erfahrung untersucht werden. In der Psychoanalyse wird die Depression oft als ein Zustand betrachtet, der mit einem Verlust oder einer Verletzung verbunden ist, insbesondere im Zusammenhang mit dem Verlust eines geliebten Objekts oder einer starken emotionalen Bindung. Depression wird als eine Reaktion auf diese Verluste und den damit verbundenen Schmerz betrachtet.

Die llusionen bieten so eine temporäre Flucht vor der Realität, aber letztendlich behindert dies die Verarbeitung des Verlustes und führt zu einer Vertiefung der Depression.

Die Depression kann somit als eine Art Bewältigungsmechanismus verstanden werden. Menschen mit Depressionen haben die Tendenz, Illusionen oder Phantasien zu entwickeln, um sich vor der schmerzhaften Realität des Verlustes oder der Verletzung zu schützen. Diese Illusionen dienen dazu, den Verlust zu leugnen, zu kompensieren oder zu vermeiden.

Freud verwendet den Begriff der “Trauerarbeit”, um den Prozess zu beschreiben, den Menschen durchlaufen, um mit Verlusten umzugehen. In der Depression ist dieser Prozess gestört. Illusionen werden verwendet, um den Schmerz der Trauer zu vermeiden oder zu reduzieren. Die llusionen bieten so eine temporäre Flucht vor der Realität, aber letztendlich behindert dies die Verarbeitung des Verlustes und führt zu einer Vertiefung der Depression. Illusionen schützen uns zwar vorübergehend vor einer schmerzlich erlebten Erfahrung, behindern aber auf lange Sicht die Verarbeitung des Verlustes.

Aus lacanischer Sicht kann das Verhältnis von Illusion zur Depression durch das Konzept des Imaginären und des Symbolischen betrachtet werden. Das Imaginäre bezieht sich auf die Ebene der Bilder und Fantasien, während das Symbolische die Ordnung der Sprache, der Symbole und der sozialen Struktur (das Gesetz des Vaters) darstellt. In der Depression dominiert das Imaginäre, während das Symbolische geschwächt oder gestört ist. Illusionen können als eine Überbetonung des Imaginären verstanden werden, bei der die Realität verzerrt wahrgenommen wird. Dies führt zu einem Verlust der Fähigkeit zur lebendigen Kommunikation und sozialen Interaktion.

Psychoanalytische Psychotherapie zielt darauf ab, die zugrunde liegenden Konflikte und unbewussten Prozesse aufzudecken, die zur Depression führen. Durch das Durcharbeiten der Wünsche im Symbolischen, insbesondere durch Arbeit mit Nacht- und Tagträumen, d. h. durch die Erforschung der unbewussten Inhalte versucht man in der Analyse die Illusionen zu durchdringen. Mit dem Ziel, einer Einsicht und Verarbeitung des Verlustes und der damit verbundenen Verlassenheitsgefühle. 

Der Verlust ist letztendlich immer der Verlust des Paradieses, das wir glauben, in unserer Kindheit gehabt zu haben. „Aber nicht wahr, der Infantilismus ist dazu bestimmt, überwunden zu werden? Der Mensch kann nicht ewig Kind bleiben, er muss hinaus ins feindliche Leben. Man darf das die „die Erziehung zur Realität“ heißen…“ so setzt Freud in „Die Zukunft einer Illusion“ den Punkt geben die Aufrechterhaltung der Illusion.