Salutogenese und Lebensfreude

26 August 2019

Markus Thiele

Salutogenese und Lebensfreude

Der israelisch-amerikanische Soziologe Aaron Antonovsky (1923-1994) verglich einmal Gesundheit und Leben mit einem Fluss. Sein Gedanke war, dass Menschen in ihrem Leben bildlich gesehen in einem Fluss voller Gefahren, Strudeln, Biegungen und Stromschnellen schwimmen. Ärzte könnten mit ihrer pathogenetisch orientierten Medizin nun versuchen, den Ertrinkenden aus dem Strom zu reißen. Doch in der von Antonovsky entwickelten Salutogenese, in der er Gedanken und Ergebnisse der Stressforschung aufgriff, geht es um mehr: Es gilt, den Menschen zu einem guten Schwimmer zu machen, sodass er ohne ärztliche Hilfe Strudeln und Stromschnellen gewachsen ist.

Die Medizin definiert Gesundheit zumeist als Abwesenheit von Krankheit. Der Gesundheit scheint demzufolge keine eigene Qualität inne zu wohnen. Doch das erschien Antonovsky nicht plausibel und so postulierte er das sogenannte „Kohärenzgefühl“ (engl.: sence of coherence, SOC) als salutogenen Faktor. Im Laufe seiner Untersuchungen stellte der Soziologe fest, dass gesunde Menschen über eine bestimmte geistig-seelische Globalorientierung verfügen, Dieses Gefühl bzw. Kohärenzgefühl, über das gesunde Menschen in hohem Maße verfügen, steht im Zentrum der Salutogenese.

Jedoch ist es nicht als „Allmachtsphantasie“ zu verstehen, sondern vielmehr als Wahrnehmungs- und Beurteilungsmuster, das es Menschen erlaubt, sich und die Welt in einem bestimmten Licht zu sehen.

Inwieweit freilich der SOC gedeihen kann, hängt – so Antonovsky – von der Umwelt ab, in der der Mensch aufgewachsen ist. Erfahrungen und Erziehung spielen dabei eine zentrale Rolle: So entwickeln Heranwachsende dann ein ausgeprägtes Kohärenzgefühl, wenn sie die Welt als emotional sicher erleben und an Probleme und Aufgabenstellungen begleitend herangeführt werden.

Gesunde Menschen verfügen über ein vielschichtiges Spektrum von Widerstandskräften, mit denen sie auf Stresssituationen reagieren können.

Gesunde Menschen verfügen über ein vielschichtiges Spektrum von Widerstandskräften, mit denen sie auf Stresssituationen reagieren können. Diese Kräfte bezeichnet Antonovsky als „generalisierte Widerstandsressourcen“. Im Verbund mit dem Kohärenzgefühl bilden sie den Kern des Salutogenese-Modells. Obwohl diese Ressourcen nicht direkt auf die Gesundheit wirken, misst Antonovsky ihnen eine entscheidende Bedeutung bei, da Stressoren und die daraus resultierenden Stressbelastungen Krankheiten auslösen können.

Die Ressourcen ermöglichen es, auch nennenswerte körperliche Beanspruchungen zu bewältigen. Jedoch beziehen sich die „generalisierten Widerstandsressourcen“ nicht allein auf die physisch-immunologische Abwehrkraft. Antonovsky sieht darin auch individuelle, kulturelle und soziale Fähigkeiten und Möglichkeiten, Probleme zu lösen und Schwierigkeiten zu meistern. Bestandteil dieser Ressourcen seien u.a. finanzielle Sicherheit, Ich-Stärke, Intelligenz und praktische Bewältigungsstrategien.

Anders als eine an Risikofaktoren orientierte Krankheitsverhütung, wird die salutogenetisch ausgerichtete Prävention nicht spezifische Maßnahmen gegen Risiken nahelegen, sondern vielmehr grundsätzliche, die beispielsweise zur Erhöhung des Kohärenzgefühls führen. Es geht darum, die Lebenskompetenz und -freude zu stärken.

Das Problem liegt jedoch darin, dass die Salutogenese als Erklärungsmuster und Theorie und nicht als Praxismodell entworfen wurde. Antonovsky beendete seine Arbeit bewusst mit der theoretischen Konzeption und Erarbeitung des Modells. Er zeigt kaum Möglichkeiten auf, die Salutogenese in die Praxis zu übertragen. Diese liegen jedoch auch im Kompetenzbereich einer psychotherapeutischen Praxis.