Schuld, Gefühle & Psychotherapie

26 September 2019

Markus Thiele

Schuld, Gefühle & Psychotherapie

Der Ursprung der Schuld liegt im Paradies, sagen die Theologen. Aber nicht nur der der Schuld, sondern auch der des Bewusstseins, sagen die Philosophen. Speziell Ethiker analysieren den Begriff als moralisches Gefühl. Und Juristen legen auf der Matrix psychologischer Gutachten fest, in welchem Maß einem Menschen Schuldfähigkeit zugesprochen werden kann.

Neben der realen Definition von Schuld, geht es aber hier mehr um das Erleben von Schuld als Gefühl. Denn insbesondere damit sind Psychotherapeuten und Analysanden in der Therapiesituation beschäftigt.

Da Schuld nicht zuletzt eine soziale Emotion ist, wird sie nicht selten zwischen Menschen “hin und her“ oder sich gegenseitig „in die Schuhe“ geschoben. Schuldgefühle können auch als Warnhinweis auf ein Fehlverhalten einer anderen Person gegenüber fungieren – einem Angstgefühl gleich. Sie können aber auch der Hinweisfunktion, eine Beziehung wieder „reparieren“ zu müssen, entbehren. Und es gibt den Bereich des Zwischenmenschlichen, in dem Schuld „verteilt“ wird gleich einem „vergifteten“ Geschenk.

„Schuldgefühle wurzeln nicht in bösen Taten, sondern in dem, wie wir unsere Taten beurteilen. Schuld hat immer etwas mit Handeln zu tun, mit der Freiheit meines Handelns und Entscheidens. Das ist bei Heidegger die existenzielle Schuld: Ich entscheide mich für das und nicht für das andere, und deswegen bin ich immer in der Schwierigkeit und in dem inneren Vorwurf, ich hätte das, wogegen ich mich entschieden habe, vernachlässigt…“, sagt der Psychoanalytiker Ludwig Haesler auf Deutschlandfunk.

Nach Freud ist es die Strenge des Über-Ichs, die einen in den Schuldkonflikt mit sich selbst hinein manövriert. Diese Härte verhindert eine mitfühlende und freundliche Perspektive auf sich selbst.

Diese Selbst-Beurteilung und Verurteilung kann körperlich spürbare Schuldgefühle zur Folge haben: Eine gebeugte Haltung, ein gesenkter Kopf, Erröten, Schwitzen oder ein verstimmter Magen. Die Schuldgefühle sind aber nicht immer mit Reue im Bitten um Entschuldigung zu lösen. Ihre Komplexität zeigt sich darin, dass sie auch der Kompensation dienen: Wenn ein Kind häufig auf seine Schuld an etwas reduziert wurde, kann dieses in seiner Selbstreflexion häufig nicht unterscheiden, ob es sich um eine reale oder fiktive Schuld handelt. Es definiert sich aus vermeintlich eigenen „Stücken“ als Schuldiger.

Treten Konflikte im Erwachsenenleben auf, werden diese häufig aus der Position des Schuldigen gedeutet. So kann es sein, dass eine autonome Handlung wie z. B. eine Trennung zu starken Schuldgefühlen führt, weil auch der Prozess sich von seinen Eltern zu emanzipieren, mit Schuld konnotiert wurde.

Nach Freud ist es die Strenge des Über-Ichs, die einen in den Schuldkonflikt mit sich selbst hinein manövriert. Diese Härte verhindert eine mitfühlende und freundliche Perspektive auf sich selbst. Die negative Identifikation mit sich mittels des Schuldkomplexes kann zu Depression oder selbstverletzendem Verhalten führen, wenn die Anhäufung von Schuld, die irgendwann unlösbar, also ausweglos erscheint, nicht in psychotherapeutischer Behandlung auf ihren „verkehrten“ Wahrnehmungsursprung zurückgeführt wird. Hierbei geht es weniger um Absolution als um die Frage, wie diese abwertende Selbstbewertung kognitiv und emotional zustande kommt.

Mit Schuldgefühlen lässt es sich nicht gut leben. Denn Schuld wiegt oft verdammt schwer. “Schuld kann sich ansammeln wie Kapital”, sagt die Künstlerin Monica Bonvicini, die eine Arbeit mit dem Titel „60 Tonnen Schuld” angefertigt hat. Ohne Schuld aber lässt sich jedoch auch nicht leben. Schuld ist ein Gradmesser für Moral und Empathiefähigkeit, aber auch der Eingang zum Ursprung des moralischen Empfindens und ohne Moral gibt es bekanntlich kein Über-Ich und keine Kultur.