Experten schätzen, dass in Deutschland etwa vier Millionen Menschen depressiv sind.
„Die Ursachen depressiver Störungen sind komplex und nur teilweise verstanden. Es werden biologische Faktoren (Prädispositionen) und Einflüsse der Lebensgeschichte als Auslöser angesehen. Zwillingsstudien zeigten, dass die genetische Komponente nur ein Faktor ist. Selbst bei identischer genetischer Ausstattung (eineiige Zwillinge) erkrankt der Zwillingspartner des depressiven Patienten in weniger als der Hälfte der Fälle.“ So lesen wir jedenfalls bei Wikipedia.
Welchen Stellenwert hat also die Genetik über Einzelfälle hinaus, wenn eine Erkrankung daraus nicht zwangsläufig resultiert? Ungleich relevanter ist hier wohl die Epigenetik. Und schließlich ist die Formulierung, die Ursachen depressiver Störungen seien nur teilweise verstanden, irreführend. Psychoanalytiker konnten ganz im Gegenteil in den vergangenen Jahrzehnten äußerst präzise das Auftreten von Depressionen herleiten.
Menschen mit Depressionen schildern häufig schwierige Lebensereignisse als auslösende Faktoren, die sie vor Ausbruch der Krankheit durchlebten, wie etwa der Verlust des Berufs, eines nahestehenden Menschen durch Trennung beziehungsweise Tod oder die Konfrontation mit einer schwerwiegenden Krankheitsdiagnose respektive Prognose zum Beispiel nach Unfällen. Der zentrale Aspekt dabei ist die frühkindliche Involvierung der Betroffenen in die ungelösten Konflikte und Schicksale der Eltern. Ob eine Lebenskrise in eine Depression übergeht, hängt insofern von der individuellen Resilienz des Einzelnen ab.
Die Hauptsymptome einer Depression sind charakterisiert durch Stimmungseinengung oder bei einer schweren Depression durch den Eindruck der Gefühllosigkeit beziehungsweise dem Gefühl anhaltender innerer Leere. Ferner kommt es zum Interessenverlust, Verlust der Fähigkeit zu Freude oder Trauer und Verlust der affektiven Resonanz – die Stimmung des Patienten ist auch durch Zuspruch nicht aufzuhellen. Darüber hinaus kommt es zu einer erhöhten Ermüdbarkeit und einem Antriebsmangel bis hin zur Unfähigkeit, einfachste Arbeiten zu erledigen.
Die Zusatzsymptome sind gekennzeichnet durch eine eingeschränkte Konzentration und Aufmerksamkeit, vermindertes Selbstwertgefühl respektive Selbstvertrauen und Schuldgefühle. Ferner kommen zumeist Schlafstörungen und ein reduzierter Appetit hinzu, pessimistische Zukunftsperspektiven, unter Umständen eine hypochondrische Grundstimmung im Bezug auf den eigenen Körper, Hoffnungslosigkeit und eine gefühlte oder tatsächliche Hilflosigkeit. Letztlich entstehen Empfindungen einer völligen Sinnlosigkeit des Lebens, sodass dieser qualvolle Zustand zu latenter oder akuter Suizidalität führen kann.
Ferner können noch somatische Syndrome vorliegen wie eine psychomotorische Hemmung oder Agitiertheit. Dieser Zustand von Bewegung und Initiative geht häufig mit innerer Unruhe einher, die körperlich als ein Leibgefühl wahrgenommen wird und sehr quälend sein kann (stumme Erregung, lautlose Panik). Vielfach beobachtet werden auch Gewichtsabnahme, Gewichtszunahme – der vielzitierte Kummerspeck – und schließlich kann auch das sexuelle Interesse abnehmen oder völlig zum Erliegen kommen.
Der Schweregrad wird nach der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) anhand der Anzahl der Symptome aus den Haupt- und Zusatzsymptomen ermittelt.
Psychoanalytiker machten bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf die durch Verlust oder Kränkung mobilisierten Aggressionen innerhalb der Depression aufmerksam. „Wir wissen heute, dass diese (oft sogar in mörderischen Phantasien sichtbar werdende) Aggression mit Besonderheiten des Grundkonfliktes und strukturellen Besonderheiten des Depressiven zusammenhängt. Die massiven aggressiven Phantasien werden jedoch nicht in die Tat umgesetzt, sondern autoaggressiv abgewehrt: Selbstvorwürfe, Anschuldigungen, Selbstanklagen, Nahrungsverweigerung, Selbstverstümmelung, Suizidalität, schließlich Selbstmord.“ (Mentzos, 1982)
Während bei leichteren Depressionen zumeist in erster Linie eine Psychotherapie indiziert ist, kommen bei schweren Formen üblicherweise Behandlungen mit Antidepressiva hinzu, die jedoch laut neueren Forschungsergebnissen der Harvard Medical School oft nicht über den Effekt von Placebos hinausgehen. (siehe auch: ZEITmagazin 25/2016)
Epigenetische Einflüsse: Diese beschreiben die Genaktivität, also lediglich die zeitweilige Entwicklung der Zelle, die auf Umwelteinflüssen beruht, hiermit sind auch explizit soziale Einflussfelder inbegriffen.
Als spanische Forscher genetisch gleiche Zwillingspaare zwischen drei und 74 Jahren untersuchten, zeigte sich eindeutig: Die jüngsten Zwillinge unterschieden sich in ihrem epigenetischen Code kaum – die ältesten Zwillinge hingegen immens. Im Laufe des Lebens machen Zwillinge unterschiedliche Dinge durch, entwickeln andere Gewohnheiten oder befinden sich in anderen Lebensumständen – und so entwickeln sich auch ihre epigenetischen Codes mitunter in verschiedene Richtungen. Bei diesen Vorgängen bleibt die DNA-Sequenz unverändert, und dennoch können die im Laufe des Lebens erworbenen Eigenschaften vererbt werden, ohne dass diese unabwendbar für die Nachkommen werden.
In der Konsequenz widerlegt somit die Epigenetik ein lange Zeit verbreitetes Dogma, die Eigenschaften eines Organismus seien durch das bei der Geburt vererbte Genmaterial unveränderbar bestimmt. Tatsächlich erlaubt die Epigenetik selbst subtilen Umweltveränderungen den Zugriff auf unser Erbgut. Und somit sind Depressionen auch aus diesem Grund nur in den seltensten Fällen ein umkorrigierbares Schicksal.
Die aufgeführten Aspekte zusammengenommen macht daher ein therapeutischer Prozess Sinn, indem ungelösten Konflikten und versteckten Aggressionen nachgespürt wird, mit dem Ziel einer Stärkung der Resilienz.