Angenommen es gäbe die Welt, aber es gäbe keine Beziehung. Zum Beispiel keine Beziehung zu Gegenständen, also keine Erinnerung an das vergangene Gespräch beim Anblick der Reste der Nacht. Keine Beziehung zu sich selbst, also ohne die Möglichkeit, sich selbst zu verstehen. Oder eben ohne Beziehung zu anderen, also ohne Felder der Begegnung – im Grunde also ohne Beziehung zur Welt, die so nur sinnlos vor sich hin existieren würde. Oder eher: Keine Beziehung, kein Risiko?
Dass Beziehungen als beständig oder brüchig beziehungsweise als nah oder distanziert wahrgenommen werden können, beinhaltet bereits ein intersubjektives Feld betreten zu haben. Der Psychoanalytiker Chris Jaenicke vertritt das Konzept der intersubjektiven Psychoanalyse. Grundsätzlich gilt bei diesem Ansatz:
1. Alle Aspekte des psychischen Lebens und Erlebens werden kontextualisiert.
2. Immer, wenn man in Kontakt tritt, öffnet sich ein intersubjektives Feld.
3. Der Beobachter ist zugleich der Beobachtete oder…
In der Beziehung zueinander ist sich jeder selbst der Eigene und der Andere. Dieses sogenannte intersubjektive Feld eröffnet sich auch dann, wenn Analytiker und Analysand in die therapeutische Situation eintreten.
Aus der Hierachisierung des Helfenden und Hilfebedürftigen herauszutreten und das Verhältnis als ein Feld der Beziehung zu kennzeichnen, hat vor allem Konsequenzen für den Analytiker.
Die Philosophen Martin Buber und Emmanuel Lévinas stellen beide die Frage nach dem Selbst und dem Anderen in Anbetracht dessen, dass diese Zueinander in Beziehung treten. Martin Buber geht es vor allem um die verbindende Sphäre im Ich-Du-Verhältnis. Lévinas hingegen geht es um das Trennende, das absolut Andere. Buber macht die Wechselseitigkeit und Welterfahrung stark, wohingegen Lévinas das Wesentliche im Verständnis dessen denkt, dass der Andere uneinholbar anders ist. Beide sich voneinander stark unterscheidende Positionen sind auch unter der Fragestellung des Therapeuten-Klienten-Verhältnisses interessant: In welcher Weise ist der Andere für mich zugänglich?
Der US-amerikanische Psychoanalytiker Heinz Kohut integriert in den 1970er-Jahren als erster das Prinzip der Empathie in das therapeutische Verhältnis. Aus der Hierarchisierung des Helfenden und Hilfebedürftigen herauszutreten und das Verhältnis als ein Feld der Beziehung zu kennzeichnen, hat vor allem Konsequenzen für den Analytiker. Der Therapeut muss sich in der Therapiesituation selbst analysieren, vorrangig, weil der subjektive Anteil der Wahrnehmung zwar nicht Gegenstand der Therapie sein soll, dennoch eine entscheidende Rolle im Therapieverlauf spielt.
Chris Jaenicke betont, dass man in den Prozessen des Klienten immer auch selbst impliziert ist. Daraus ergibt sich, dass Diagnosen keinen großen Stellenwert mehr haben. Vielmehr bemerkt man therapeutische Erfolge daran, dass die Unterstützung hin zur emotionalen Entfaltung des Klienten beigetragen hat.
Insofern ist Heilung auf der therapeutischen „Reise“ die Reintegration von Affekten, die aus diesen Feldern heraus entstehen und vorher als Bedrohung wahrgenommen wurden. Jaenicke umreißt das mit dem sperrigen, aber treffenden Begriff des „unerträglichen Eingebettetsein des Seins“. Alles ist relational. Das würde auch Martin Buber unterschreiben.