Wofür Abwehr gut ist

26 November 2018

Markus Thiele

Wofür Abwehr gut ist

Das Unangenehme ist nicht zumeist Draußen, sondern in einem selbst. Manchmal passt man sich selbst nicht ins Selbstbild. Aber: Wohin dann mit diesem störenden „Gast“?

Nimmt man an, es handelt sich um ein unangenehmes Vorurteil, das sich blitzartig auf dem Weg zur Arbeit in das Bewusstsein geschraubt hat, kann man dieses bis zum ersten Kaffee und Öffnen des Bildschirms einfach wieder ad acta gelegt haben. Aber was ist mit schwerer artikulierbareren Wahrheiten, wie allen voran Gefühlen, Stimmungen, die Aussagen über einen treffen, die negative Konsequenzen nach sich ziehen wie Angst, Verzweiflung, Unsicherheit oder verbotene Wünsche?

Diese werden abgewehrt oder auch genauer: Das Ich wehrt die unerwünschten Triebimpulse des Es ab. Nun gibt es mindestens zwei Lesarten dieses sogenannten Abwehrmechanismus. Die eine Lesart ist zu behaupten, alle Verdrängung würde schaden. Die viel interessantere ist allerdings anzunehmen, dass Abwehr immer auch eine Art der Verteidigung, in diesem Fall der Selbstverteidigung ist: „Verdrängung ist die Urform menschlicher Selbstbezüglichkeit: Reflexion. Verdrängung ist zunächst einmal eine epochale Emanzipationsleistung gewesen.“ (C. Türcke)

Verdrängung ist zwar gleich Abwehr und zählt aus psychoanalytischer Sicht zu den „Ich-Funktionen“, jedoch ist Abwehr nicht ausschließlich Verdrängung. Abwehrmechanismen werden in reifere und unreifere unterteilt. Die Verdrängung zählt zu den reiferen, die Spaltung hingegen zu den unreiferen Mechanismen im Hinblick auf die Bewältigung psychisch konfliktreicher Zustände. Jedoch dienen beider der Selbststeuerung mit mehr oder weniger guten Ausgang.

Das Ich ist also auf unbewusster Ebene dazu in der Lage, den unerwünschten Trieben des Es mit verschiedenen Mechanismen entgegenzutreten. Allerdings darf die Vorstellung der Selbststeuerung nicht verwechselt werden mit einer kontrollierten Auswahl erwünschter Ich-Anteile im Spiegel seiner Selbst und der Gesellschaft. Psychoanalytisch werden diese als unbewusst ablaufend kategorisiert und dienen dazu, die unerwünschten Information aus dem Bewusstsein fernzuhalten.

Es ist eine Art unfehlbarer Mülleimer, aus dem die zuvor in ihn verdrängten Erlebnisse und unliebsamen Triebregungen zu gegebener und meist unpassender Zeit in symbolischer Form wieder auftauchen und unser Leben zerstören…

Zu den Abwehrmechanismen gehören neben Verdrängung auch u.a. Identifizierung, Intellektualisierung, Konversion, Projektion, Regression, Sublimierung und Verleugnung. Sie dienen der Kompensation und sprechen in dieser Funktion nicht nur die Sprache des Verdrängens, sondern auch des Offenbarens. In dieser Weise sind sie nicht dysfunktional, sondern produktiv für den Analyseprozess. Die Frage ist im Verhältnis des Abwehrmechanismus zum Abwehrgegenstand verankert: Wie wehrt man was ab? Was wird verdrängt, um Angst zu vermeiden? Welche Projektion bricht sich Bahn, um der Schuld zu entfliehen? Warum wird etwas verleugnet, um die Scham nicht fühlen zu müssen?

Die Kontextualisierung der Abwehrmechanismen spielt vor allem in der psychoanalytisch ausgerichteten Psychotherapie als „Redekur“ einen wesentlichen Anteil, weil diese die Brücke zwischen Bewusstsein und Unbewussten schlägt. Die Fortschritte des Verständnisses richten sich danach, in welchem Tempo der Patient/Klient in der Beziehung mit dem Psychotherapeuten dazu in der Lage ist, Abgewehrtes zuzulassen und so den Entwicklungsprozess der Selbsterkenntnis inklusive unerwünschter Motive, Werte und Triebe voranzutreiben.

Der Autor W. Herrndorf schreibt in seinen posthum veröffentlichten Schriften „Stimmen“:„Es (Das Unterbewusstsein) ist eine Art unfehlbarer Mülleimer, aus dem die zuvor in ihn verdrängten Erlebnisse und unliebsamen Triebregungen zu gegebener und meist unpassender Zeit in symbolischer Form wieder auftauchen und unser Leben zerstören bzw. uns erleuchten, wenn wir sie ‚verarbeiten‘.“

Ein Plädoyer für die Psyche als funktionierendes Immunsystem kann so enden: Abwehr als Mechanismus der Verdrängung macht im psychotherapeutischen Kontext aus Fremdbestimmung Selbstbestimmtheit. Das setzt aber mindestens einen geschützten Ort voraus, der dem Unangenehmen in einem selbst ein Zuhause gibt.