Mehr über Angstzustände… Panik

26 Oktober 2018

Markus Thiele

Mehr über Angstzustände… Panik

Die Phänomene Angst und Panik sind vielseitig: Ist man in Angst, erscheint sie überflutend als Zustand der Bedrohung, den es wieder loszuwerden gilt. Bemerkbar wird sie als plötzlicher Umbruch in der Wahrnehmung, als Fokussierung auf die Bedrohung oder die Umdeutung der scheinbaren Harmonie und Sicherheit in Bedrohung.

Angst ist ein Herausfallen aus der Welt – nicht bloß im metaphorischen Sinne. Körperlich äußert sie sich etwa in Form von Zittern und Herzrasen, aber auch in kaltem Schweiß und Übelkeit. Für die psychoanalytisch geprägte Psychologie ist Angst ein Leitaffekt, der auf eine starke Spannung beziehungsweise gravierende Konflikte zwischen den existenziellen Lebenspolen Autonomie und Abhängigkeit hindeutet. Die Existenzphilosophie wiederum sieht in der Angst nicht nur die Möglichkeit der Selbsterkenntnis, sondern auch die zur Freiheit.

Angst ist, neben seiner ursprünglichen Dimension, den Menschen beziehungsweise das Tier vor Gefahren zu schützen, auch psychodynamischen Mechanismen unterlegen. So kann es zu einer Verschiebung der Angst auf somatische Symptome oder soziale Situationen kommen. Angst als Verschiebung zu erkennen, setzt voraus, die Angst in den Kontext seiner Verwicklung in die familiären und sozialen Zusammenhänge zu stellen. Also sie zu dechiffrieren, um körperliche Symptome wie Schwindel, Herzrasen, Schwitzen und Übelkeit in bestimmten Situationen richtig deuten zu können.

Was in der Philosophie als Dialektik verstanden wird, wird in der Psychoanalyse als bipolare Spannung bezeichnet, die in eine konflikthafte Polarisierung übergehen kann. Als existentiell bipolare beziehungsweise dialektische Spannung ist das Autonomie-Abhängigkeitsverhältnis zu verstehen: Wenn die Suche nach Bindung und der gleichzeitige Wunsch nach Autonomie einander zu stark widerstreben, gerät die Ausbalancierung von Nähe und Distanz in Gefahr.

In menschlichen Beziehungen, gerade in engen Liebesbeziehungen, kreist die Angst darum, dass diese auseinandergehen können. Dies kann dazu führen, seine Bedürfnisse zurückzustellen, um die Beziehung – unter Aufgabe autonomer Bestrebungen – um jeden Preis aufrechtzuerhalten. Eigenständigkeit und Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen, werden damit unterbunden, entgegengesetzte Strebungen werden verleugnet. In dieser Selbstwahrnehmung steckt dann die Überzeugung um jeden Preis auf einen nahestehenden Menschen angewiesen zu sein. Die Angst, den Partner/die Partnerin zu verlieren, ist dann stärker als bewusste Erkennen, Vertreten sowie Formulieren eigener Bedürfnisse.

Freisein bedeutet, seine eigene Freiheit zu wählen. Zu Sein, bedeutet sich selbst zu wählen.

Andersherum kann es aber die zu enge Beziehung sein, die als einengend wahrgenommen wird und unser Bedürfnis nach Selbstbestimmtheit einschränkt. Dabei geht es dann um emotionale und existentielle Unabhängigkeit, somit werden die elementaren Bedürfnisse nach Anlehnung, Nähe und Bindung aus Angst vor Verschmelzung und Auflösung der eigenen psychischen Existenz unterdrückt.

Der Philosoph Sören Kierkegaard sagt: Angst sei die Möglichkeit zur Freiheit, also auch: Unabhängigkeit. Diese ist hier nicht als übersteigerter Wunsch zu verstehen, der widersprechende Bedürfnisse unterdrückt, sondern als existenzielle Grundanlage im Menschen. Deshalb gilt bei ihm auch: Je ursprünglicher ein Mensch ist, desto tiefer seine Angst. Angst ist ein elementares Thema der Existenzphilosophie, weil diese nicht nur nach dem Sinn, sondern auch nach den Bedingungen des Seins fragt und das Sich-selbst-Konstituieren grundlegend dem Menschsein überantwortet. Freisein bedeutet, seine eigene Freiheit zu wählen. Zu Sein, bedeutet sich selbst zu wählen.

Sein ist immer Möglich-sein. Diese Auffassung eines Seins, das damit nicht fest, sondern immer flexibel und selbstreflexiv im positiven, aber auch haltlos und unbestimmt im negativen Sinne ist. Denn darin wird Angst nicht bloß zu etwas Pathologischen erklärt, sondern als unerlässliche Weise deklariert, man selbst zu werden.

Kierkegaard unterscheidet streng zwischen Angst und Furcht. Furcht ist demnach objektbezogen: Ich fürchte mich vor Höhe, vor Hunden oder vor Horrorfilmen, auch vor dem Joggen allein in der Dunkelheit. Angst im Gegenzug bezieht sich bei Kierkegaard auf das Nichts. Auf das Nichts, das die Existenzangst zu einer innerlichen Angst macht. Die Entdeckung des Nichts, ist die Erkenntnis, dass nichts ist, was der Einzelne nicht macht.

Der Hirnforscher und Molekularbiologe Giovanni Frazzetto sagt, dass wir nicht vor Angst sterben, sondern sie vielmehr zum Überleben brauchen. Er begründet dies u. a. damit, dass Angst den Menschen darauf hinweist, Veränderungen in seinem Leben vorzunehmen. Warum gibt es also Panikattacken, die selten als produktiv wahrgenommen werden? Vielleicht auch um festzustellen, dass das Ausmaß der Angst dann pathogene Züge aufweist, die behandelt werden sollten, so wie ein Beinbruch, den man ja auch nicht unbehandelt lässt.

Jede psychologische Therapie ist auch ein Selbsterkenntnisprojekt. Frazzetto sagt, Furcht sei im Labor messbar, Angst aber sei nur mit Hilfe von Dichtern und Philosophen zu verstehen und mit T. C. Elliott gesagt: „Angst ist die Magd der Kreativität“.