Liebe im Zeitalter der Apps

13 Februar 2017

Markus Thiele

Liebe im Zeitalter der Apps

In der “Süddeutschen Zeitung” vom 19.08.2016 findet sich ein Interview mit Alain de Botton über die Liebe im Zeitalter der Apps. Hier daraus die meiner Meinung nach spannendsten Sequenzen:

Heiraten wir grundsätzlich immer den falschen Partner, weil wir romantische Vorstellungen haben? Und brauchen wir mehr Pessimismus, um das Leben zu bewältigen? Der Schriftsteller Alain de Botton im großen Interview über die Liebe.

Interview von Thorsten Schmitz
Gerade kommt er von einer Lesereise aus Australien, aber von Jetlag keine Spur. Beim Gespräch in seiner Wohnung im noblen Londoner Belsize Park sprudelt der Schriftsteller nur so vor Ideen. Eine Stunde war vereinbart, nach einer Stunde schaut er auf die Uhr. Morgen fliegt er schon wieder zu einem Termin. Aber eine Frage möchte er noch loswerden an den Gast aus Deutschland: Was treibt Angela Merkel an?

SZ: Einer der beliebtesten Kurse an Ihrer School of Life in London lehrt, wie man “bessere Gespräche” führt. Wie beginne ich am besten unsere Unterhaltung?

Alain de Botton: Eines der interessantesten Dinge zu fragen ist doch: Wovor hast du Angst im Moment? Das zielt schnell ins Zentrum unseres menschlichen Daseins.

Sollten wir nicht eher erst mal beim Wetter anfangen, wie es Briten gerne tun?

Wir können gerne über den kühlen Sommer lamentieren, aber weit wird uns das nicht bringen. Am Anfang bin ich als Schweizer manchmal sehr ungeduldig geworden mit dem Appetit der Menschen hier, Smalltalk zu führen.

Sie haben vor Kurzem in einem Essay für die New York Times behauptet, wir seien allemit den falschen Partnern zusammen. Ich wollte Sie als Erstes fragen, ob Sie mit der falschen Frau verheiratet sind.

Aber klar doch, sicher, wir alle sind mit der falschen Person verheiratet. Die Neurose unseres Zeitalters ist doch das Streben nach Perfektion. Das macht uns intolerant und wütend, wenn Menschen nicht so sind, wie wir sie haben möchten. Das alte jüdisch-christliche Modell war der Mensch sei fehlerhaft und braucht göttliche Vergebung. Heutzutage allerdings ist perfekt zu sein die neue Theologie. Das ist Gift für jede Beziehung. Wenn zwei Menschen der Ansicht sind, du bist perfekt und ich auch, dauert es nicht lange, bis Probleme auftauchen. Menschen trennen sich dann schnell, weil sie glauben, das sei das Ende ihrer Liebe. Dabei ist das ein guter Moment, sich gegenseitig wirklich kennenzulernen. Wahre Liebe besteht vor allem aus Vergeben und darin, schlechtes Verhalten gut zu interpretieren.

Die Romantik lehrt uns, dass wahre Liebe ohne Worte auskommt und eine perfekte Beziehung aus einer mystischen Vereinigung zweier Seelen besteht. Das ist wenig hilfreich. Solch ein Denken führt zu einer Epidemie des Schmollens.

Schlechtes Verhalten gut interpretieren?

Wir Erwachsene sollten so miteinander umgehen wie mit unseren Kindern. Wir sind sehr großzügig, wenn wir deren schlechtes Verhalten interpretieren. Wir sagen zu unserem Kind ja nicht, du willst mich fertigmachen, nein, wir suchen nach weichen, mitfühlenden Erklärungen. Wir sagen unserem Kind nicht, du bist garstig oder intrigant, sondern: Es hat Angst vor etwas, es ist müde. In diesen Erklärungen steckt Liebe.

Welche Art von Liebe praktizieren wir Erwachsenen?

Für viele von uns bedeutet Liebe Anhimmelung. Wir bewundern die Schönheit unseres Partners, seine Kraft, seine Leistungen. Dabei ist jeder von uns ein bisschen verrückt. Am besten wäre es, wenn man gleich zu Beginn einer Beziehung zugibt: Hör zu, das und das sind meine Macken.

Wer hindert uns daran, uns so zu geben, wie wir sind?

Der große Feind der Liebe ist die Romantik. Die romantische Bewegung aus dem 19. Jahrhundert brockt uns bis heute viele Probleme ein. Die Romantik lehrt uns, dass wahre Liebe ohne Worte auskommt und eine perfekte Beziehung aus einer mystischen Vereinigung zweier Seelen besteht. Das ist wenig hilfreich. Solch ein Denken führt zu einer Epidemie des Schmollens. Man denkt: Dieser Mensch sollte mich verstehen, aber er hat versagt, ich werde nicht erklären, was falsch läuft, denn wenn ich mich erklären muss, ist das ein Zeichen für fehlende Liebe.
Philosophen lehren uns, dass wir mit unseren von Gefühlen geleiteten Impulsen in der Regel falsch liegen. In der Romantik hieß es, wenn du deinem Gefühl folgst, findest du die Wahrheit. Die Philosophie aber lehrt: Gefühle leiten dich in die Irre. Das hört sich heutzutage komisch an, wo es Menschen gibt, die zwei Wochen, nachdem sie sich in einem Club kennengelernt haben, verrückte Hochzeiten feiern. Sie sagen dann: Wir haben gefühlt, dass wir füreinander gemacht sind. Jahre später aber haben sie sechs Kinder und lassen sich scheiden, weil das Gefühl nicht mehr da ist. Das Geschäft mit dem Gefühl ist sehr gefährlich. Ein bisschen mehr Skeptizismus gegenüber Gefühlen wäre sehr hilfreich für jeden.

Auf der Internetseite Ihrer Schule wirbt ein Video mit den Sätzen: Wir lehren Piloten, wie man sicher landet, wir bringen unseren Kindern Mathematik bei und vermitteln, wie man am Gehirn operiert. Aber es herrscht eine seltsame Stille, wenn es zu Lebensfragen kommt, etwa mit wem soll ich eine Beziehung führen. Warum brauche ich dafür Ihre Schule?

In unserem Erziehungssystem wird nie über die emotionalen Fragen im Leben gesprochen. Dabei ist allein der wirtschaftliche Schaden immens, der entsteht, weil Beziehungen scheitern. Kindesmissbrauch, Alkohol, Selbstmordversuche, das alles zerstört Menschen, auch, weil wir uns selbst überlassen bleiben. Es gibt keine Erziehung in diesem Bereich. Wir benötigen eine therapeutischere Kultur. Mit meiner Schule möchte ich dazu beitragen.

Wer hindert uns denn, miteinander ins Gespräch zu kommen?

Smartphones. Sie hindern uns vor allem daran, mit uns selbst ins Gespräch zu kommen, uns zu fragen, was wir möchten, was uns bewegt, was wir bewegen wollen, was wir fühlen, was wir denken, welches Leben wir führen möchten. Smartphones sind das brillanteste Ablenkungswerkzeug, das je erfunden wurde. Wir müssen nie wieder mit uns selbst ins Gespräch kommen. Man ist nie allein mit sich selbst.

Klingt deprimierend.

Es wird noch deprimierender. Letztens war ich in Kalifornien zu einer Google-Konferenz eingeladen, auf der Google-Chef Eric Schmidt Ideen vorgestellt hat für die kommenden Jahrzehnte: Er sprach von Flügen zu fernen Planeten, selbstfahrenden Autos und dem Kampf gegen den Krebs. Dann fragte ihn jemand: Was wird Google denn nicht erfinden? Wir werden wohl nie eine App erfinden, antwortete Schmidt, die den Menschen toleranter und weiser machen wird. Darauf hat er sarkastisch gelacht. Nach der Konferenz bin ich zu ihm gegangen und habe gesagt, Sie reden darüber, wie Sie den Krebs besiegen wollen und sagen gleichzeitig, es sei lächerlich von Google zu erwarten, es könne eine Toleranz-App entwickeln. Warum eigentlich nicht? Er sagte nur: Ich weiß auch nicht. Das ist so typisch für diese Technologiefirmen: Sie erfinden Apps dafür, wie man jemanden finden kann für schnellen Sex oder eine Beziehung, aber sie entwickeln keine Apps, wie man mit dieser Person zusammenbleiben kann. Das Silicon Valley ist in gewissem Sinne also romantisch veranlagt: Sie machen uns glauben, das einzige Problem sei, die richtige Person zu finden. Alles andere regele sich wie von selbst.

Zur Person Alain de Botton, 1969 geboren, verfolgt ein ehrgeiziges Ziel: Der studierte Philosoph und Bestsellerautor (“Wie Proust Ihr Leben verändern kann”) möchte dem modernen Menschen das Unbehagen nehmen und ihm helfen, glücklich, zielstrebig, kreativ zu werden. (…) Er schreibt über Erotik, Reisen, Nachrichten, Kunst und erklärt auf Youtube, wie man bei Platon Trost finden kann. De Bottons Erfolg als Alltagsphilosoph hat sich bis nach Kalifornien herumgesprochen: Gerade hat ihn Google-Chef Eric Schmidt eingeladen, auf einer Konferenz zu reden – über die Liebe.