Narzissmus

15 Juni 2017

Markus Thiele

Narzissmus

Der griechischen Mythologie zufolge war Narziss der schöne Sohn des Flussgottes Kephissos und der Wassernymphe Leiriope. Auf seine Mitmenschen übt er eine unglaubliche Anziehungskraft aus, sodass sich viele in ihn verlieben. Doch aus Stolz und Überheblichkeit weist er alle zurück. Seine Überheblichkeit wird mit grenzenloser Selbstliebe gestraft. Als er sich eines Tages an einer Wasserquelle niederlässt, um seinen Durst zu stillen, verliebt er sich in sein Selbstbild. Das Ende seiner Geschichte wird kontrovers diskutiert: 

1. Er versucht sein Spiegelbild zu erreichen und merkt, dass das nicht möglich ist. Vor lauter Sehnsucht stirbt er und verwandelt sich in eine Narzisse.
2. In dem Moment, als Narziss ins Wasser sieht, fällt ein Blatt in den Fluss und verzerrt sein Spiegelbild. Schockiert darüber, dass er hässlich ist, stirbt er.
3. Ohne zu erkennen, dass es sich um sein Spiegelbild handelt, beugt Narziss sich ins Wasser, um dem Objekt seiner Liebe nah zu sein und ertrinkt.

Volkstümlich versteht man unter einem Narzissten einen Menschen, der ausgeprägten Egoismus, Arroganz und Selbstsüchtigkeit an den Tag legt und sich anderen gegenüber rücksichtslos verhält.

Eine narzisstische Persönlichkeitsstörung ist dagegen eine tiefgreifende Störung der Persönlichkeit, bei der ein mangelndes Selbstwertgefühl und eine starke Empfindlichkeit gegenüber Kritik bestehen, flankiert von einem unzureichenden Einfühlungsvermögen in andere Menschen. Diese Merkmale beziehungsweise Defizite werden kompensatorisch mit einer auffälligen Selbstbewunderung und übersteigerten Eitelkeit und einem übertriebenen Selbstbewusstsein nach außen hin abgewehrt.

Die krankhafte Ausprägung einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung zeichnet sich durch ein brüchiges Selbstwertgefühl aus, das Betroffene durch ein Selbstbild von eigener Großartigkeit, Überlegenheit und Verachtung gegenüber anderen Menschen zu kompensieren versuchen.

So berichtet Prof. Dr. med. Peter Falkai von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), Berlin: „Die krankhafte Ausprägung einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung zeichnet sich durch ein brüchiges Selbstwertgefühl aus, das Betroffene durch ein Selbstbild von eigener Großartigkeit, Überlegenheit und Verachtung gegenüber anderen Menschen zu kompensieren versuchen. Viele sind von starken Phantasien eingenommen, die sich um Macht, grenzenlosen Erfolg, Glanz, Schönheit oder auch ideale Liebe drehen. Sie neigen dazu, zu konstruieren und sich nach außen hin als großartig zu präsentieren, überschätzen dabei jedoch oft ihre eigenen Fähigkeiten. Manche glauben, besonders und in vielerlei Hinsicht einzigartig zu sein und nur von anderen besonderen Personen oder erlesenen Kreisen verstanden zu werden. Aus diesem erhöhten Selbstkonzept entsteht jedoch für Betroffene eine permanente Bedrohung durch andere, die diese Selbstdarstellung in Frage stellen. Das drängt Narzissten in Erklärungsnot und führt fast zwangsläufig zu weiteren Rechtfertigungen, Konstruktionen oder auch Lügen.“

Zugleich erschweren es ihnen ihre Defizite im Einfühlungsvermögen in andere Menschen, gleichberechtigte, stabile Beziehungen zu führen. Ihr ausgeprägter Eigenbezug dient überwiegend dazu, soziales Unbehagen und zwischenmenschliche Unsicherheit zu kaschieren. Sie verhalten sich anderen gegenüber oft so, wie sie selbst nicht behandelt werden möchten und beuten beziehungsweise „saugen“ andere aus.

Die psychoanalytische Theorie geht in erster Linie davon aus, dass Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung in ihrer Kindheit von den Eltern zu wenig Liebe und Anerkennung bekommen haben. Um dennoch anerkannt zu werden, entwickeln die Betroffenen dann ein Verhalten, bei dem sie ständig die eigenen Fähigkeiten betonen und sich nach außen hin besonders gut darstellen Und so schwanken sie zwischen einem übertrieben positiven Selbstbild und der Angst, den Ansprüchen Anderer nicht zu genügen, hin und her. Da sie nie die Erfahrung machen konnten, um ihrer selbst willen – ohne etwas Besonderes zu leisten – geliebt zu werden, sind sie in ihrem Selbstwerterleben somit in übergroßem Ausmaß auf die Bestätigung von außen angewiesen. 

Häufig heftige Neidgefühle und das fehlende Einfühlungsvermögen in ihre Mitmenschen lassen sich aus psychoanalytischer Sicht dadurch erklären, dass die Betroffenen ihre unbewusste Wut, die eigentlich den Eltern gilt, auf Andere projizieren. 

Ihre Neigung zu manipulieren, manifestiert noch den Umstand, dass so befriedigende zwischenmenschliche Beziehungen nicht gelingen können.