Psychosomatik

26 Mai 2017

Markus Thiele

Psychosomatik

Organische Beschwerden scheinen auf den ersten Blick nur selten psychosomatische Ursachen zu haben. Am Anfang einer Behandlung steht deswegen die Suche nach körperlichen Störungen, auch in Bezug auf äußere Faktoren. Jahrhunderte lang wurden in der westlichen Medizin Körper und Seele getrennt voneinander betrachtet und behandelt. Doch wenn organische Ursachen ausgeschlossen werden können, geht nun ein Teilgebiet der Medizin von einer psychosomatischen Erkrankung aus. Seit Ende der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts gibt es in Form der Psychoneuroimmunologie wissenschaftliche Bestrebungen, den Zusammenhang zwischen Körper und Geist mit Laborfakten zu untermauern.

Die Psychoneuroimmunologie erforscht, wo die Schnittstellen von Gehirn und Immunsystem liegen und auf welchem Weg Stress unseren Körper beeinflusst. In dieser noch relativ neuen Medizin-Wissenschaft ist es deshalb von großer Bedeutung, den Menschen in seiner Ganzheit zu betrachten. Und dazu gehören neben Laborwerten auch psychologische Aspekte, wie zum Beispiel seine sozialen Beziehungen.

Unter psychosomatischen Erkrankungen werden daher körperliche Krankheiten und Beschwerden verstanden, die durch psychische und psychosoziale Belastungen hervorgerufen, verstärkt oder aufrechterhalten werden. Diese Erkrankungen werden dabei als Ausdruck einer konflikthaften oder traumatischen Erlebnisverarbeitung gesehen. Sigmund Freud (Neurologe & Begründer der Psychoanalyse, 1856-1939) hielt es sogar für möglich, von den körperlichen Missempfindungen direkt auf die dahinter liegenden psychischen Konflikte zu schließen, wie er es in der Theorie der Konversionsstörung ausführte. Demnach ist die Verschiebung der Gefühle auf körperliche Symptome als Abwehrmechanismus zu verstehen, der in schützender Funktion zumindest temporär den Umgang mit belastenden Lebenssituationen erleichtern kann – allerdings um die Preis eines eingeschränkten Handlungsspielraums.

Viele Patienten mit Herzangst neigen dazu, sich weniger zu bewegen, doch dies wirkt sich eher nachteilig aus: Das Herz beginnt nun schon bei geringer Belastung stärker zu schlagen.

So haben viele Menschen schon an sich selbst beobachtet, wie das Herz auf Gefühle, Stress und Ängste anspricht, indem es dann schnell schlägt. Dieser Vorgang ist vollkommen normal. Fängt jedoch das Herz an ungleichmäßig zu schlagen, beispielsweise in Form von Extrasystolen, ist ein Arztbesuch notwendig. Bei rund 20 Prozent der Patienten können organische Ursachen ausgeschlossen werden, es liegen somatoforme Herzbeschwerden vor, also die Angst, eine Herzkrankheit zu haben oder einen Herzinfarkt zu erleiden.

Häufige Ursachen für Herz-Angst-Neurosen sind Stress, heftige Emotionen wie Wut oder Angst, nicht verarbeitete Konflikte oder beispielsweise der Herztod eines Verwandten. Doch auch wenn der Arzt seinem Patienten versichern kann, dass keine organische Krankheit vorliegt, hören die Symptome nicht zwangsläufig auf.

Hier kann zumeist eine psychotherapeutische Behandlung Abhilfe beziehungsweise Linderung schaffen: Mit dem Patienten wird erarbeitet, welche tiefsitzenden Ängste oder Belastungen die Symptome auslösen. Wichtig ist es auch, einer Schonhaltung gegenzusteuern. Viele Patienten mit Herzangst neigen dazu, sich weniger zu bewegen, doch dies wirkt sich eher nachteilig aus: Das Herz beginnt nun schon bei geringer Belastung stärker zu schlagen. Bewegung und Konditionstraining stärken in diesem Fall das Herz. Sie werden zudem auch oft zur Angstbewältigung eingesetzt, da körperliche Betätigung rückwirkend emotional stabilisierend wirkt.

Auch chronische Schmerzen haben häufig seelische Ursachen. Hält ein Schmerz länger als sechs Monate an, gilt er als Dauerschmerz. Solche Schmerzen können den ganzen Körper betreffen, besonders häufig sind aber Kopf-, Rücken- und Gelenkschmerzen. Bei Schmerzen, die keine erkennbare organische Ursache haben, sondern durch eine seelische Belastung ausgelöst werden, kommt es oft zu einem Teufelskreis: Der Schmerz selbst kann dann psychische Probleme nach sich ziehen.

Schmerzen psychosomatischer Genese können in vielen Formen auftreten. Der Psychologe eruiert zusammen mit dem Patienten, wann die Schmerzen besonders stark sind, und er bearbeitet mit ihm auch die ungelösten Konflikte aus dessen Vergangenheit. Die Psychotherapie stellt somit für Patienten einen Erfahrungsprozess dar. So wird ihnen die Möglichkeit gegeben, die Zusammenhänge zwischen ihrem Schmerz, der Psyche und ihren Lebensumständen zu erkennen und dementsprechend Veränderungsprozesse einzuleiten.